»Widerstand gegen sich selbst« Konsumkritik als subversive Praxis oder kapitalistische Selbstoptimierung? Nachhaltigkeit als Leitwert

Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft, vegetarische und vegane Kost, fair gehandelte Produkte, sauberer Strom, Tauschbörsen und Aufrufe zum Shoppingverzicht – der Trend geht schon lange zum kritischen Konsumbewusstsein. Längst hat Konsumkritik die Nischen des politischen Aktionismus und der Subkultur verlassen. Bio- und Fair-Trade-Produkte stehen in den Regalen großer Supermarktketten und spätestens mit steigendem Einkommen und dem Eintritt ins Familienleben fangen die Meisten an über gesundes Essen nachzudenken. Auch die Politik gibt sich aktionistisch: Ob Energiewende, Ökostrom, E-Mobilität und Bio-Sprit, der Staat steuert und subventioniert, wie es sich manche Grüne vor 20 Jahren nicht hätten träumen lassen. Das beruhigt die Mehrheit der Deutschen nicht. Nach Umfragen befürchten 75 Prozent, dass sich ohne weitere politische Maßnahmen die Umweltverhältnisse stark verschlechtern und insbesondere ihre Kinder und Enkel von dieser Entwicklung betroffen sein werden. Nach jeder Wetterkapriole geben Schlagzeilen Auskunft über die kollektive Angst vor der Klimaerwärmung. Nicht zuletzt deshalb ist nachhaltige Lebensweise heute ein in der Öffentlichkeit unwidersprochener Leitwert. Die Regierungen von Bund und Ländern, egal ob daran politische Berufs-Ökos beteiligt sind oder nicht, nehmen auf diese Stimmungslage Rücksicht. Bei allen etablierten Parteien stehen umweltpolitische Themen auf der Agenda.

Nicht am Willen der Politik, wohl aber am Effekt staatlicher Umweltpolitik sind Zweifel angebracht. Die »Umweltprämie« von 2009 ist nur ein Beispiel: Für das Abwracken eines funktionstüchtigen Gebrauchtfahrzeugs und den Kauf eines Neuwagens schenkte der Staat damals 2500 Euro. 2 Millionen energieaufwendig produzierte Autos gingen bei den Händlern über den Ladentisch; nicht selten ein größeres Modell als der bisherige Zweitwagen mit Mehrverbrauch. Die Umweltbilanz stimmte nicht, wie selbst das zuständige Ministerium im Nachhinein zugeben musste. Doch war der Standort vorerst gerettet. Diese Rechnung ist beispielgebend. Eine ganze Reihe von Maßnahmen – Umweltsteuer, Energiewende, E10, Förderung von Elektroautos usw. – ließe sich von berufener Stelle als ökologischer Etikettenschwindel entlarven, der nur eins nicht darf: der Wirtschaft schaden.

»Widerstand gegen sich selbst«

Doch die ökologisch bewusste Gesellschaftskritik von heute richtet sich nicht zuerst gegen die Scheinheiligkeit der Politik, noch weniger gegen deren Befangenheit in der globalen Standortkonkurrenz und schon gar nicht gegen das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise selbst. Natürlich wird die »Wachstumskultur« abgelehnt, die angeblich außer Rand und Band geratene Weltwirtschaft soll durch ein »gesundes Schrumpfen« nachhaltig transformiert werden. Doch den Weg zu einer Ökonomie im Einklang mit der Natur sehen Wortführerinnen und Aktivisten der Nachhaltigkeitsbewegung nicht durch Staat und Kapital, sondern durch eine falsche Lebenspraxis der Einzelnen verstellt. Ob nun persönliche Ernährung, Kleidungskauf, Mobilität oder der Umgang mit Verpackungsmüll – die alltägliche Lebenswelt wird als individueller Möglichkeitsraum präsentiert, in dem Veränderungen beginnen müssten. Bestseller des Genres wie Jonathan Safran Foers »Tiere Essen« oder Karen Struves »Anständig Essen« sind als Selbstversuch angelegt. Der Sozialpsychologe Harald Welzer, prominenter Kritiker der Wachstumskultur, ruft mit seiner jüngsten Buchveröffentlichung (»Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand«) zum »Widerstand gegen sich selbst« auf. Die persönlichen Handlungsoptionen sollen erkannt und genutzt, Grenzen der Gewohnheit und die suggestive Beeinflussung durch Werbung überwunden werden.

Der Lohn für dieses anstrengende Unterfangen lockt im Hier und Jetzt. Allerdings gibt es abweichende Vorstellungen darüber, wofür das Engagement gut sein soll: Die einen wollen Biobrot statt Billigbrötchen. Der authentische, oft nur eingebildete höhere Genuss wird zum Kompass im Meer der konsumtiven Uferlosigkeit. Andere empfinden Gutes, schickt die NGO den Spendennachweis mit einem Foto glücklicher Kleinbauern in Südamerika oder glänzt das Fair-Trade-Siegel im Einkaufskorb. Für manche steigt das Selbstbewusstsein, wenn sie sich den einen oder anderen Konsumwunsch versagen. Nicht Totalverweigerung, sondern gesundes Maßhalten ist dann die Devise, die als Lustgewinn erlebt wird. Wieder andere sehen der Wegwerfindustrie eins ausgewischt, wenn sich Gebrauchtes erstehen lässt. All das bietet Orientierung in einer nicht eben übersichtlichen Warenwelt. Es beruhigt zudem das schlechte Gewissen, das sich einstellen kann, wenn Medien über Umweltschmutz, Klimaerwärmung und hungernde Kinder in Afrika berichten, das gequälte Selbst aber feststellen muss, dass es ihm mit Job, Eigentumswohnung, Privatwagen, Sommer- und Winter-Urlaubsreise eigentlich gut geht. Ein weiterer Idealtypus schließlich sucht nach einem Rückgewinn an Kreativität und bestätigt sich mit der Autosuggestion einer unabhängigeren Arbeits-und Freizeitgestaltung. Ein Irrglaube, mit der sich Formen urbaner Subsistenzwirtschaft und prekäre Lebensweisen verklären lassen – selbst dann noch, wenn sich aus ihnen erfolgreiche Unternehmen der New Economy entwickelt haben.

Noch verlockender als all das ist ein anderes Versprechen des konsumkritischen Bewusstseins: Wer sich an die Maßgaben von Ökologie und Nachhaltigkeit hält, lebt gesünder und länger, hat schönere Haut und glücklichere Kinder. Konsumkritik reproduziert auf diese Weise die Vorstellung von Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiheit, die sich im gesellschaftlichen Zusammenhang als überhaupt nicht freie Optimierungsstrategie der Konkurrenzsubjekte erweist. Vor allem das Gebot des überlegten Einkaufs von Nahrungsmitteln arrangiert sich sehr gut mit dem smarten Zwang von Gesundheitsprämien und amtlich attestierter Vorsorge. Der Bio-Konsument und sein weibliches Pendant sind die notwendige Entsprechung zur staatlichen Durchsetzung verlängerter Lebensarbeitszeit. Er und Sie sind willfährige Produkte desselben marktgerechten Auftrags, der zum lebenslangen Lernen, zu sportlicher Aktivität, Schönheit und Fitness ermahnt. Die Distanz der Formulierung suggeriert, dem ließe sich leicht entkommen. Doch wer wollte schon von sich behaupten, sein Verhalten frei von der Aussicht zu gestalten, durch bewusstes Maßhalten, Aktivität und sorgfältiges Einkaufen länger leistungsfähig und gesund zu bleiben?

Konsumkritik von links

Obwohl seit einigen Jahren die Kritik am Neoliberalismus gerade auch an der Zurichtung der Subjekte auf die Anforderungen des Kapitals festgemacht wurde, fällt die konsequente Zurückweisung des biopolitischen Anpassungsdrucks gerade in der Linken schwer. Die Anprangerung kapitalistischer Naturzerstörung hatte hier schon immer eine offene Seite für Lebensreformbestrebungen mit all ihren Schwächen von politischer Nutzlosigkeit über Selbstkasteiung und Verzicht bis hin zu biologistischen Einstellungen. Der starke Rückhalt, den konsumkritische Praxen im linksalternativen Milieu haben, erklärt sich jedoch nicht nur als Fortleben von Ideologiegeschichte, sondern ebenso als wiederkehrender Antrieb, Gesellschaft im Konkreten zu verändern, und wo dies nicht gelingt, ihren Zwängen entfliehen zu wollen. Insofern verwundert es nicht, wenn Linke der Konsumkritik vielfach nur schwer entsagen können und stattdessen ihr Mittun mit visionären Zielen aufwerten. In Transitionsgruppen, Foodsharingprojekten, Urban Gardening- und Biokooperativen geht es um mehr, als sich nur wohlzufühlen. Lokale Räume sollen von globalen Warenströmen, der grenzüberschreitenden Energieversorgung und der Geldwirtschaft abgekoppelt werden, um im Fall einer Versorgungskrise überlebensfähig zu sein. Das Vorleben von nachhaltigen Alternativen ist ohnehin nur der Anfang. Über massenhafte Nachahmung und davon ausgehende Marktanreize soll die kapitalistische Ökonomie zum Umsteuern und letztlich in die Knie gezwungen werden.

Diese Vorstellung einer grundsätzlichen Transformierbarkeit der Gesellschaft, die mit der Konsumentscheidung des Einzelnen beginnt und über kollektive Organisation alternativer Praxis zum Sargnagel des Systems wird, lässt sich unter anderem beim selbsternannten Gastrosophen Harald Lemke nachlesen. In seinem Text zur »Kritischen Theorie der Esskultur«, der mit Namen und Zitaten linker Theoriebildung überwürzt ist, erklärt er die Kaufentscheidung konsumkritischer Menschen zum Dreh- und Angelpunkt revolutionärer Politik gegen die herrschenden Zustände. Jeder Einkauf müsse als »zutiefst philosophischer Akt« verstanden werden, mit denen sich die Menschen »auf eine ethisch relevante Weise politisch verhalten«. Weil diese Kaufentscheidungen mit den ökonomischen Weltverhältnissen in Verbindung stehen, könnten sie, würden sie denn in der richtigen Art und Weise getroffen, neue gesellschaftliche Realitäten schaffen.

Kritische Konsumkritik

Nicht nur gegenüber einer solchen effektheischenden Aufmotzung, sondern auch mit Blick auf weniger aufgeblasene Aufwertungen der praktischen Konsumkritik zur Befreiungsperspektive ist Skepsis angebracht. Doch worauf läuft sie hinaus? Gegenüber Verzichtsideologien und Subsistenzphantasien ist die Forderung von »Luxus für alle« zwar der richtige emanzipatorische Affekt. Allerdings lässt sich diese Parole nicht in »SUVs für alle« übersetzen. Nur zusammen mit der Hoffnung auf vernünftige Auffassungen über das gute Leben, die sich arrangieren lassen und deren Verwirklichung die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen nicht aufs Spiel setzt, macht sie Sinn. Dem Unbehagen an den negativen Folgen der kapitalistischen Warenwelt für den Menschen und dem Wunsch, nachhaltig zu leben, lässt sich angesichts der Produktion von Giftmüll und minderwertigen Lebensmitteln und im Wissen um den Raubbau an Naturressourcen nicht jegliches kritische Potential absprechen. Statt eines trotzigen Lobs des Konsumismus müsste es also eher darum gehen, den Gehalt der Konsumkritik zu beleuchten und ihre Übergänge in affirmative Denk- und Verhaltensweisen aufzuzeigen.

Zu diesem Zweck wäre zunächst eine Reihe von Fragen zu stellen. Beispielsweise, ob sich die Politik der Verweigerung und kleinen Schritte lohnt und für wen? Ob die Konsumkritik also mit den gewünschten und versprochenen positiven Effekten wie steigender Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Veränderung einhergeht oder auf eine als Kritik getarnte Identifikation mit der warenvermittelten Wirklichkeit hinausläuft. Zu fragen wäre, auf welcher Analyse des kapitalistischen Systems Forderungen von Bewusstseinswandel und Verhaltensänderung beruhen, oder ob besagte Appelle an das Selbst nicht nur zum Preis einer systematischen Auslassung von Kapitalismuskritik zu haben sind. Schließlich müsste auch das Verhältnis der offiziellen Ökologiepolitik zu alternativen Strategien »von unten« mit Blick auf staatliche Standortsicherung und die historische Entwicklung von Verbraucherbewusstsein bestimmt werden.

Der Rote Salon im Conne Island lädt dazu ein, sich in einer Veranstaltung mit diesen Fragen und darüber hinaus mit dem gegenwärtig zu beobachtendem Boom der Konsumkritik auseinanderzusetzen. Als Gast eines moderierten Gesprächs mit anschließender Diskussion ist Thomas Ebermann aus Hamburg eingeladen. Heute als »langjähriger konkret-Autor, Satiriker und ungekrönter Columbo der Politik« (wikipedia) wie auch als Theaterregisseur bekannt, repräsentiert Ebermann als ehemaliges Mitglied des ökosozialistischen Flügels der Grünen gleichermaßen die steigende Bedeutung der ökologischen Frage für die Linke als auch das realpolitische Scheitern der programmatischen Verbindung von Ökologie und kommunistischer Kapitalismuskritik.

April 2014