„DER GELDKOMPLEX“ Die Psyche im Zeitalter leerer Geldbeutel

Als Franziska zu Reventlow im Mai 1871 in Husum zur Welt kam, schien ihre Zukunft vorgezeichnet: Geordnet, sittsam, kaisertreu und standesgemäß sollte das Leben der Tochter eines preußischen Landrats verlaufen. Daraus wurde jedoch nichts. Vielmehr entkam sie der provinziellen Enge, wurde die berühmteste Repräsentantin des wilden Lebens der Bohème, publizierte bei anarchistischen Verlegern Romane und hasste den Krieg, an dem sich die Landsleute patriotisch berauschten. Was der Spießer als „gerechte Strafe“ für solche Unbotmäßigkeit erachtet – Geldnot und Entsagung – hat sie nie akzeptiert. Dafür stand ihr der Sinn zu sehr nach Glamour, Luxus und gutem Leben. Sparsamkeit gehörte zu ihren Stärken nicht, weshalb der Druck der Gläubiger manchmal so groß wurde, dass Franziska von Reventlow auf skurrile Fluchten ausweichen musste. Schnell handelte sie sich das Wort der „Skandalgräfin“ ein.

Von einer Flucht handelt auch ihr autobiografisch durchsetzter, ihr komischster Roman, „Der Geldkomplex“ (1916), den sie ironisch pointiert gleich ihren Gläubigern zugeeignet hatte. Darin wird erzählt, wie die Protagonistin sich – auf Anraten eines an Freud orientierten Psychiaters – in eine „Nervenheilanstalt, oder sagen wir lieber Sanatorium, das klingt immerhin noch milder“ begibt und dort von ihrer Neurose, einem „Komplex“, geheilt werden soll: ihrer zu großen Wertschätzung des Geldes. Die erhoffte Therapie will freilich nicht so recht anschlagen. Da die Patientin keine Freundin der Psychologisierung materieller Probleme ist und lieber ihre Schulden als ihren „Komplex“ beseitigt hätte, verläuft die Therapie wenig erfolgreich. Die Psychoanalyse mag die eigene Seele kurieren helfen, nicht aber das Portemonnaie zu füllen. Vor allem aber entwickelt sich der Roman zu einer humorösen Darstellung ihres Aufenthalts im Sanatorium. Unter lauter zumindest finanziell gescheiterten Existenzen wird ihre Zeit dort zu einer immer amüsanter werdenden Angelegenheit, die in dem Resümee mündet, dass es sich auch „im Zeichen des Bankrotts ganz gut leben“ lässt. Auch deshalb meinte selbst Rainer Maria Rilke später einmal, „dass das Leben der Reventlow eins von denen ist, die erzählt werden müssen“. Weil ihr Roman jedenfalls einer ist, mit dem sich ebenso gut über den vermeintlichen Geldkomplex lachen, wie sein gesellschaftlicher Anlass beanstanden lässt, lädt der „Rote Salon im Conne Island“ zum Auftakt seiner neuen Veranstaltungsreihe zu einer szenischen Lesung von Reventlows „Geldkomplex“ ein. Inszeniert wird das Ganze von den längst schon Bekannten des Hamburger Polittbüros um Thomas Ebermann und die durch Kino und Film bekannten SchauspielerInnen Pheline Roggan und Denis Moschitto. Auch deswegen lohnt sich das Kommen. Eines ist jedenfalls jetzt schon sicher: Der Abend verspricht mehr Aufklärung als jede Therapiestunde und ist ganz sicher eine Investition in die Zukunft.